Menu

Scott King
Totem Motif
17. Mai–12. July 2014

Scott King, Totem Motif

In Ihrer Ausstellung mit dem Titel „Totem Motif“ werden Arbeiten gezeigt, die sich mit Denkmalen oder anderen Formen der Kunst im öffentlichen Raum beschäftigen.
Ja, das sind drei verschiedene Arbeiten, zu denen ich gern ein paar Worte sagen kann.

Study of Blackpool Tower: Die Fotoserie entstand im letzten Dezember. Ich war als freier Mitarbeiter für die Zeitschrift Arena Homme+ in Blackpool, um ein Interview mit den Sleaford Mods zu machen. Die Band befand sich damals gerade auf Tournee durch Nordengland und Schottland, und mir war von Anfang an klar, dass ich sie unbedingt in Blackpool treffen wollte. Der Ort passt einfach perfekt: Die Songs der Sleaford Mods handeln von Mindesteinkommen, kultureller Desillusionierung und sozialer Ausweglosigkeit. Und Blackpool ist laut Statistik die zweitärmste Stadt in Großbritannien,total heruntergekommen, kaputt, hässlich. Aber es ist auch ein berühmtes Seebad, das Ende des 19. Jahrhunderts für die Textilarbeiter aus der Baumwollindustrie in Lancashire als Erholungsort erfunden wurde. Sie verbrachten da einmal im Jahr eine Woche Urlaub und konnten sich … na, sagen wir mal … austoben. Damals wie heute ist es so eine Art Sicherheitsventil für die Arbeiterklasse, ein Ort, den man besucht, um Luft abzulassen … zum Saufen, Prügeln, Rumhuren. Die Stadt ist total faszinierend, aber auch ziemlich deprimierend – ein Widerspruch, den ich reizvoll finde. Ich fuhr einen Tag vor dem Auftritt der Band dorthin – um die halbverfallenen Straßen, die Neonreklamen, die Besoffenen und die traurigen Belustigungen zu fotografieren. Leider gelangen mir die Fotos nicht, sie kamen rüber wie miese Martin-Parr-Verschnitte vom Elend der nordenglischen Arbeiterklasse … oder als hätte Morrissey im Urlaub ein paar Schnappschüsse gemacht. Aber dann fiel mir beim Durchklicken der Aufnahmen auf, dass im Hintergrund immer der Blackpool Tower ins Bild hineinragte … und mir wurde klar, dass er das Zentrum war. Dem Turm kann man nicht entkommen, egal, wo man sich in der Stadt aufhält und egal, wie kaputt die Straße ist, auf der man gerade steht – immer hat man irgendwie die majestätische Schönheit dieses Miniatur-Eiffelturms vor Augen. Ich überlegte mir, dass der Blackpool Tower (der aus den 1890er Jahren stammt) vielleicht ein frühes Beispiel für Bauwerke mit einem bestimmten „Einsatzzweck“ ist, ähnlich den heute von der britischen Regierung bei Künstlern wie Anish Kapoor oder Antony Gormley in Auftrag gegebenen Riesenskulpturen für verarmte ehemalige Industriegebiete. Temenos in Middlesborough und Angel of the North in Gateshead sind ja im Wesentlichen Super-Attraktionen für den Tourismus, „spektakuläre Symbole der Zuversicht“, in der Hoffnung errichtet, diese unter Thatcher in den 1980er Jahren vorsätzlich dem Verfall überlassenen Gebiete könnten wieder an Attraktivität gewinnen. Ich beschloss also, mich fotografisch auf den Turm zu konzentrieren, in einem Halbkreis von einer halben Meile Entfernung um ihn herumzugehen und immer dann auf den Auslöser zu drücken, wenn er ins Blickfeld kam, so dass er auf jedem Bild in derselben Größe und Position zu sehen sein würde. Sicherlich hatte ich dabei auch John Baldessari‘s Aligning: Balls (1972), das situationistische Konzept des Herumschweifens im urbanen Raum – ‘Dérive’ – und der ‘Psychogeografie’ oder Victor Burgins UK76 (1976) im Kopf ..., aber vor allem ergab sich so die Möglichkeit, das Elend Blackpools fotografisch zu dokumentieren, ohne es zum eigentlichen Thema zu machen oder auf Motivsuche zu gehen ... denn der Bildinhalt wird ja durch die Positionierung des Turms vorgegeben. Demnach erfüllt die Ablichtung des Turms eine doppelte Funktion: Aus ihr ergibt sich die Studie einer eindrucksvollen touristischen Sehenswürdigkeit beziehungsweise, wie man das auch sehen kann, der zynischen Nutzbarmachung eines monumentalen Bauwerks, und zugleich die Möglichkeit, die Trostlosigkeit der Umgebung fotodokumentarisch festzuhalten.

Anish and Antony Take Afghanistan: Dieser Arbeit liegt das Gedankenspiel zugrunde, ich hätte Kunstwerke von Antony Gormley und Anish Kapoor im Zuge einer „Skulptur-Transplantation“ nach Afghanistan zu verfrachten. Das Ganze ist reine Fantasie, die folgendermaßen aussieht: Ich bin Vorsitzender eines von den Vereinten Nationen einberufenen Think-Tanks mit der Aufgabe, Skulpturen aus dem öffentlichen Raum in Großbritannien für Afghanistan zu spenden. Die Idee dahinter ist, dass es diesen beiden Künstlern mit ihren Skulpturen gelingt, arme Regionen wie Gateshead, Middlesborough, Stratford usw. „wiederzubeleben“ und sich dieses Konzept auch auf das von Armut, Krieg und Wirtschaftskrise gebeutelte Afghanistan übertragen lassen sollte. Ich begann damit, Bilder von monumentalen Skulpturen im öffentlichen Raum zu machen und in die weiten Ebenen der afghanischen Provinz Helmand „transplantieren“ zu lassen, aber die Sache sah irgendwie banal, undurchdacht, oberflächlich aus, es funktionierte nicht so recht. Deshalb ging ich dazu über, mir nicht mehr die ganz konkrete Umsetzung dieser Skulpturen, sondern eher das Gesamtszenario auszumalen, wie es wohl wäre, wenn Anish und Antony von der UN für die „Rettung“ Afghanistans eingesetzt würden. Ich dachte mir also eine ganze Geschichte darüber aus, was sich wohl alles hinter den Kulissen abspielen würde, und diese Geschichte ließ sich meiner Ansicht nach am besten in Form einer Graphic Novel oder als Comicstrip erzählen. Ich hatte das Glück, den Künstler Will Henry für die Zusammenarbeit zu gewinnen – er nahm meine Skizzen und Notizen und machte daraus wirklich tolle Bilder … so präzise imaginiert, dass sie der Realität wahrscheinlich näher sind als uns lieb sein kann.

A Balloon for Spandau: Diese Arbeit ist Teil eines größeren Projekts, das mit A Balloon for Britain (2012) angefangen hat. Auch dafür malte ich mir wieder aus, ich sei Mitglied in einem von der Regierung einberufenen Think-Tank: Die konservative Partei, die gerade an der Regierung ist, hat mir in diesem Fall ein paar Millionen Pfund zur Verfügung gestellt, um einen Plan für die Umgestaltung und Förderung der zehn ärmsten Städte in Großbritannien auszuarbeiten. Dabei ist es natürlich kein Problem, mehrere Millionen Pfund für die Entwicklung einer Lösung bereitzustellen, die möglichst aufsehenerregend und spektakulär sein soll, und demonstriert, wie sehr der Regierung diese im Niedergang begriffenen, zerfallenden Regionen am Herzen liegen. Aber es ist natürlich auch absolut klar, dass keinerlei Bereitschaft besteht, weitere Milliarden für die Errichtung einer neuen Infrastruktur auszugeben samt herstellender Industrie, Krankenhäusern, Schulen und sozialem Wohnungsbau. Im Wesentlichen geht es darum, diese Städte ein wenig „freundlicher“ zu gestalten, nicht darum, die eigentlichen Probleme anzugehen – Hauptsache, es sieht so aus, als werde etwas „unternommen“. So lautet das von mir imaginierte Briefing der Regierung.

Mein Vorschlag war, überdimensionierte (50 Meter in der Höhe messende) Luftballons über diesen Städten in der Luft schweben zu lassen … eine Idee, die natürlich umgehend auf große Begeisterung stößt. Die Presse singt ein Loblied auf die Regierung, die Bevölkerung freut sich an den Riesenballons im Himmel. Der Erfolg führt dazu, dass man mich einlädt, dasselbe auch in den zehn ärmsten amerikanischen Städten zu machen – Balloon for America (2013) – und anschließend noch zehn Ballons über einer unbedeutenden französischen Kleinstadt schweben zu lassen A Balloon For Sélestat (2013). Nach einem Besuch in Spandau, das nicht so sehr unter Armut als vielmehr unter einer gewissen Leidenschafts- und Farblosigkeit leidet, schlage ich vor, in der Bahnhofsgegend einen Ballon in die Luft zu bringen, um den Menschen, die dort leben und arbeiten, etwas mehr Freude und Antrieb zu vermitteln. Erste Marktforschungsergebnisse zeigen, dass sich von 100 Befragten 67 klar für das Vorhaben aussprechen, 29 Bedenken wegen einer möglichen Gefährdung von Straßen- und Luftverkehr äußern und 4 sich der Meinung enthalten.

Außer diesen drei Arbeiten wird noch ein gefundenes Foto dem Jahr 1964 gezeigt, das der Ausstellung auch den Titel gegeben hat: Totem Motif. Darauf bewundern zwei junge Frauen in Harlow, einer „New Town“ in Essex, eine Henry-Moore-Skulptur, die im selben Jahr dort aufgestellt wurde. Moore war wie seine Nachfahren Kapoor und Gormley ein Meister der banalen, publikumswirksamen Kunst im öffentlichen Raum.

Scott King, geboren 1969 in Goole, East Yorkshire, England, lebt und arbeitet heute in London. In den 1990er Jahren war er zuerst Artdirector für die Zeitschrift i-D, dann Creative Director des Modemagazins Sleazenation. Der Grafikdesigner hat mit Kultur-Ikonen wie Malcolm McLaren, den Pet Shop Boys, Michael Clark und Suicide zusammengearbeitet. Seine Arbeiten wurden weltweit in Ausstellungen im Museum of Modern Art, New York, im Museum of Contemporary Art, Chicago, im Palais de Tokyo, Paris, in der Staatlichen Eremitage in St. Petersburg sowie im Institute of Contemporary Arts und im Barbican Centre in London gewürdigt. Scott King wird von den Galerien Herald St, London, und Bortolami, New York, vertreten.

Am 10. und 11. Juli 2014 um 23 Uhr kuratiert Scott King für die Berliner Festspiele The Festival of Stuff im Rahmenprogramm von foreign affairs.

Scott King, Study of Blackpool Tower, 14 parts, 2014; A Balloon for Spandau, 2014; Totem Motif, 1964; Totem Motif (flipside), 2014.
Scott King, Study of Blackpool Tower, 14 parts, 2014. Inket print on paper, each 40 x 30 cm.
Scott King, Study of Blackpool Tower, 14 parts, 2014. Inket print on paper, each 40 x 30 cm.
Scott King, Study of Blackpool Tower, 14 parts, 2014. Inket print on paper, each 40 x 30 cm. (Photo: Scott King)
Scott King, Study of Blackpool Tower, 14 parts, 2014. Inket print on paper, each 40 x 30 cm.
Scott King, A Balloon for Spandau, 2014. Inkjet print on paper, 113.1 x 76.3 cm.
Scott King, Totem Motif, 1964. Photo, 30.4 x 42.7 cm; Totem Motif (flipside), 2014. Photocopy, 21.6 x 30.4 cm.
Scott King, Anish and Antony Take Afghanistan. Illustration by Will Henry, 32 parts, 2014. Inkjet print on paper, various sizes.
Scott King, Anish and Antony Take Afghanistan. Illustration by Will Henry, 32 parts, 2014. Inkjet print on paper, various sizes.
Scott King, Anish and Antony Take Afghanistan. Illustration by Will Henry, 32 parts, 2014. Inkjet print on paper, various sizes.
Scott King, Anish and Antony Take Afghanistan. Illustration by Will Henry, 32 parts, 2014. Inkjet print on paper, various sizes.
Scott King, Anish and Antony Take Afghanistan. Illustration by Will Henry, 32 parts, 2014. Inkjet print on paper, various sizes.
Scott King, Anish and Antony Take Afghanistan. Illustration by Will Henry, 32 parts, 2014. Inkjet print on paper, various sizes.
Scott King, Anish and Antony Take Afghanistan. Illustration by Will Henry, 32 parts, 2014. Inkjet print on paper, various sizes.
Scott King, Anish and Antony Take Afghanistan. Illustration by Will Henry, 32 parts, 2014. Inkjet print on paper, various sizes.
Scott King, Anish and Antony Take Afghanistan. Illustration by Will Henry, 32 parts, 2014. Inkjet print on paper, various sizes.
Scott King, Anish and Antony Take Afghanistan. Illustration by Will Henry, 32 parts, 2014. Inkjet print on paper, various sizes.

Press on the exhibition:

  • Brigitte Werneburg, taz, 25 May 2014