#5 fierce pussy: ﹡
10. September – 22. Oktober 2022
Between Bridges freut sich außerordentlich, die erste europäische Einzelausstellung des Künstlerinnen- und Aktivisteninnenkollektivs fierce pussy zu präsentieren. Die Ausstellung unterstreicht damit die Bedeutung ihrer langjährigen, transformativen Interventionen im öffentlichen Raum und ihrer umfassenden Untersuchungen der Beziehung zwischen Sprache, Handlungsfähigkeit und Gemeinschaftsbildung.
fierce pussy wurde 1991 in New York von einer Gruppe queerer Künstlerinnen und AIDS-Aktivistinnen inmitten eines Klimas der Homophobie und gewalttätigen Diskriminierung gegründet, das durch die Auslöschung queerer Kultur und Räume sowie durch die verheerenden Folgen der AIDS-Epidemie geprägt war. Angetrieben von dem Begehren, lesbischer Nichtsichtbarkeit entgegenzutreten, eigene Räume zu beanspruchen und gemeinsam Ressourcen für Selbstrepräsentation und Zusammengehörigkeitsgefühl zu schaffen, wandten sich fierce pussys Arbeiten an ihre eigenen lesbischen und queeren Communities – während sie gleichzeitig homophobe und frauenfeindliche Regierungsmitglieder und Personen des öffentlichen Lebens direkt adressierten und herausforderten. Ihre ästhetische und politische Haltung der Unmittelbarkeit zeichnete sich durch eine ‚mit allen nötigen Mitteln’-Low-Tech- und Low-Budget-Produktion, - Vervielfältigung und -Verbreitung aus. Ursprünglich aus einer fluiden Gruppe lesbischer Künstlerinnen/Aktivistinnen zusammengesetzt, arbeiten vier der Gründungsmitglieder weiterhin zusammen: Nancy Brooks Brody, Joy Episalla, Zoe Leonard und Carrie Yamaoka. Ihre Arbeit reiht sich weiterhin in die Tradition radikaler queer-feministischer Praxis ein, um, unter anderem, das patriarchalische Regime entschieden und mit Freude zu unterwandern.
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die frühen Kampagnen des Kollektivs, die sich mit der Politik des Benennens und Benannt-Werdens auseinandersetzen und die Potentialität erforschen, die in der Umgestaltung von Sprache liegt. Die kontinuierlichen Überarbeitungen und Adaptionen bezogen dabei im Verlauf der Jahre immer die Entwicklungen innerhalb von queeren Sichtbarkeiten, Begriffs und Gemeinschaftsbildungen mit ein. Die Ausstellung hebt die frühesten und primären Methoden von fierce pussy – das Fotokopieren und das Kleistern – hervor, sowie auch die entscheidende Rolle, die diese Verfahren für die Bewegungen für Rechte von queeren Menschen spielten. Die Ausstellung zeigt 15 Multiples aus den letzten drei Jahrzehnten in verschiedenen Anordnungen und Dimensionen, die allesamt aus den 1990er Jahren initiierten Serien List Posters und Family Pictures and Found Photos stammen.
Die List Posters-Serie umfasst eine Vielzahl von zusammengesammelten historische und gegenwärtige Definitionen für Lesben und queere Personen. Anfangs vielfach abwertend verwendet, wurden zahlreiche der Begriffe im Laufe der Zeit und im Kontext der Freiheitsbewegungen von vielen als Teil eines emanzipatorischen Vokabulars angeeignet. Den ursprünglichen Wortsammlungen ging stets der Satzbeginn „I AM A” („ICH BIN EIN*E“) voraus, eine affirmative Selbstbenennung, die gleichzeitig Raum für andere Personen gibt, das Gleiche zu tun – und zugleich Vielfältigkeit und Koexistenzen innerhalb von Selbstkonstruktionen anerkennt. Die ursprünglichen Plakate von 1991 wurden mit „AND PROUD” („UND STOLZ“) vervollständigt. Die letzte Zeile hat sich seit dem Remix der Kampagne für eine Retrospektive 2008 bei Printed Matter in New York gewandelt, bei der das Kollektiv eine Vielzahl an Plakaten über das Schaufenster der gemeinnützigen Organisation kleisterte und den neuen Schlussteil vorstellte: „AND SO ARE YOU“ („SO WIE DU AUCH“).
In Anlehnung an diese Präsentation aus dem Jahr 2008 hat fierce pussy eine ortsspezifische Installation für die Fensterfront von Between Bridges konzipiert: Diese vereint gekleisterte Multiples der neuesten englischen Adaption der List Poster mit einer eigens für diese Ausstellung entstandenen deutschen Version, die sie gemeinsam mit Unterstützung ihrer deutschsprachigen Weggefährt*innen entworfen haben. Im Ausstellungsraum und als Teil der Installation der Multiples auf unterschiedlich hohen Stapeln von Kisten werden die List Poster durch eine Vielzahl von Postern aus der Family Pictures und Found Photos-Serie erweitert. Diese Serie kombiniert Jargon-Wörter mit Baby- und Kinderfotos der Kollektivmitglieder oder suggestive Texte mit Aufnahmen unbekannter Paare und Gruppen. Die Arbeiten zeugen von den zugleich bedrohlichen und emanzipatorischen Qualitäten von Sprache als ein Instrument, das sowohl die Gegenwart verändern als auch hoffnungsvolle Ausblicke auf eine mögliche Zukunft bieten kann.
fierce pussy und Between Bridges danken Pauline Boudry, Henrike Hannemann, Ina Hielscher, Andrea Geyer, Susanne Huber, Renate Lorenz, Barbara Schroeder und virgil b/g taylor für ihre wertvolle Beratung und Unterstützung bei der Übersetzung.
Kuratiert von Viktor Neumann.
Press on the exhibition:
Brigitte Werneburg, Wo die Natur zum Kriegsgebiet wird, taz, 20 October 2022 (DE)